Gut, dass ich meine Wanderschuhe immer dabei habe…

… ja so begann meine heutige Gedankenreise… meine Wanderschuhe haben mich schon über viele Unebenheiten, Unannehmlichkeiten, rutschige Steine, Steigungen, abschüssige, kurze und direkte Wege, allerlei Labyrinthe sowie etliche Umwege getragen.

 

Als Systemikerin verwende ich sehr gerne Metaphern, Geschichten und Gleichnisse. Sie eröffnen neue Perspektiven, können Hindernisse aufzeigen und führen oft zu mehr Klarheit und den nächsten Schritten.

 

Meine Entscheidung in den Wald zu gehen, hat mich heute in meinen alten Wanderschuhen auf eine Reise zu mehr Achtsamkeit, Bewusstsein und Ruhe geführt.

 

Ein vermeintlich ganz normaler Spaziergang an einem herbstlichen Sonntag, an dem ich ein bisschen frische Luft schnappen, meinen Gedanken entfliehen oder ihnen einfach nachhängen wollte, führte mich zu der Erkenntnis, wie oft wir uns bemühen langsamer zu gehen und dann doch schneller gehen als wir wollen. Wie Steigungen uns aus der Puste bringen und wie schwierig es sein kann, einfach unser Tempo zu finden und auf unsere derzeitiges Befinden zu hören.

 

Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Jeder von uns hat schon so oft diesen berühmten ersten Schritt getan, gewagt und vielleicht auch bereut.

Am Anfang stehen oftmals die Angst und die Neugier. Die Angst neue Pfade zu beschreiten ohne zu wissen, wohin sie uns führen oder ohne deren Beschaffenheit zu kennen. Angst vor dem Ungewissen, der Konsequenzen für sich und die anderen, und ohne sich seiner Ressourcen und dem Vertrauen in sich selbst bewusst zu sein. Und dann gibt es die Neugier. Ein kindliches Relikt aus längst vergangenen Tagen. Die Neugier nach etwas Neuem, dem Unerforschten, dem Ungewissen, es einfach auszuprobieren, wie wenn man zum ersten Mal in eine Wasserlacke springt, ohne davor darüber nachzudenken nass zu werden oder gar, dass man darin versinken könnte.

 

Die ersten Meter, als ich in den Wald eintauche, sind magisch. Der Duft des Waldes, die Farben des beginnenden Herbstes, die Vögel, die freudig ein Liedchen trällern und das Rascheln der Blätter im Wind. Festen Schrittes beginnt indessen mein Kopf meine Geschichte zu formen. Ein Fuß vor dem anderen, meine Beine die mit meinen Wanderschuhen eine feste Einheit zu bilden scheinen und mich sicher über Stock und Stein tragen. Die erste Steigung, die mir die Luft raubt und mich zwingt mein Tempo meinem Befinden anzupassen. Ein Schritt nach dem anderen. Ein Flachstück, das zum Luft holen bestimmt ist, mir meine Energie wieder zurück bringt und ein Lächeln in mein Gesicht zaubert. Endlich angekommen, im Wald, in der Natur, in der Ruhe… Wie lange habe ich gewartet, um mir dieses scheinbar einfache Vergnügen zu gönnen? Wonach habe ich gesucht? Welche zu befürchtenden Konsequenzen haben mich davon abgehalten? Welchen Hürden musste ich mich stellen, um diese Reise anzutreten? So etwas Einfaches wie einen Spaziergang?

Ist es nicht so, dass oft scheinbar banale Dinge wie ein Spaziergang, der die Energie zurückbringen könnte, nicht gelingen, weil die Angst der Neugier vorgezogen wird?

Ein Schritt nach dem anderen. Ich lasse die menschlichen Besucher des Waldes an mir vorüberziehen. Ich will ja besonders langsam gehen. Mein Leben entschleunigen. Und womit geht das leichter als sprichwörtlich langsam zu gehen? Aber langsam gehen, liebe LeserInnen, ist schwieriger als es sich anhört. „Hast du`s eilig, gehe langsam“.

Haben Sie mal versucht langsam zu gehen? Wie lange gelingt Ihnen das? Eine Minute oder zwei? Wie oft müssen Sie sich selbst daran erinnern, wieder langsamer zu gehen, ihr Umfeld wahrzunehmen, darauf bewusst zu achten, was um Sie herum passiert?

Heute gehe ich den gewohnten Weg. Wie viele Male bin ich diesen Weg schon gegangen, nicht abgebogen sondern einfach den mir bekannten Pfad gefolgt? Sehr oft scheint dieser Weg der sicherste, der einfachste, der gemütlichste. Einfach nicht nachdenken, sondern ihn einfach nur gehen. Gehen des "gehen - wegens". Herrlich!

Das Hirn ausschalten und einen Fuß vor den anderen setzen. Rechts, links, rechts, links,… und da sind sie wieder…die Gedanken! Das Hirn und die Sinne wissen wohin es gehen soll, So ruhig könnte es sein. Trotzdem schalten sich zusätzlich immer wieder die Gedanken des Alltags ein. Die frische Luft, die Ruhe, die Vogerl, die vor dem Winter noch einmal Party machen und um ihr Leben singen ... und dann diese Gedanken… bin ich auf dem richtigen Weg? Was ist heute, morgen, übermorgen und überhaupt zu erledigen? Rataratara… der Automatismus, der mich immer weiter antreibt, weitergehen, weitergehen, nicht stehen bleiben, entsprechen, Leistung bringen, Erwartungen erfüllen,…

Gut, dass ich meine Wanderschuhe angezogen habe. Sie geben mir Halt und Sicherheit. Sie sind weich und bequem. Und trotzdem sie eine Einheit mit meinen Füssen zu sein scheinen, können sie die Richtung wechseln. Sie geben auch auf neuen Wegen Halt und Sicherheit, auch wenn sie diesen Weg noch nie gegangen sind…  Ich atme ein und atme aus. Wandere an einem Bauernhof vorbei, wo gerade Gülle abgefüllt wird und freue mich trotz der Steigung noch Luft zu bekommen. Ich weiß, da ich den Weg ja schließlich kenne, dass es oben angekommen, wieder flacher und einfacher wird. Ich habe den höchsten Punkt meiner Wanderung erreicht. Das gibt Zuversicht. Zu wissen wohin der Weg einen führt, gibt Sicherheit. Allerdings war ich so damit beschäftigt, mich auf die Stille in meinem Kopf zu konzentrieren und meine fordernden Gedanken leiser werden zu lassen, dass ich weder den Raum noch die Ruhe gefunden habe, mich auf etwas Neues einzulassen. Wie schräg ist das denn? Ich habe mich die ganze Zeit darauf „fokussiert“, gedanklich zur Ruhe zu kommen. Kommt dieser Gedanke jetzt nur mir komisch vor? Das ist ja wie sich innerlich komplett aufwühlt in die Badewanne zu legen und sich Entspannung zu erhoffen…

 

Viele Schritte später, war ich keinen Schritt weiter gekommen, obwohl ich schon die Hälfte des Weges hinter mir hatte. Doch irgendwo, da war ich wohl für einen Moment unkonzentriert, hatte ich scheinbar beschlossen, die lauten Gedanken zuzulassen, und kaum bemerkt, dass sie tatsächlich auch wieder von selbst verschwinden. Meine Irritation über meine neue Erkenntnis hatte die Folge, dass ich mal schneller und mal langsamer ging. Ein Schritt nach dem anderen in meinen bequemen Wanderschuhen. Als plötzlich die Sonne zwischen den Wolken hervorblitzt und den Wald in ein neues Licht taucht, überkommt mich ein wunderbares Glücksgefühl. Ich bin mutig und entscheide mich spontan auf einen kleinen Pfad (den ich übrigens nicht kannte) abzubiegen. Okay, ich gebe zu, es war ein Abstecher von dem mir bekannten Trampelpfad. Kein großes Risiko also, oder? Aber ich habe eine Entscheidung getroffen, den Mut gehabt abzuzweigen und einen kürzeren Weg zu wählen. Ja, es ist okay, manchmal das Sichere dem Ungewissen vorzuziehen, wenn man weiß, wofür man es tut. Mein Ziel war ein Spaziergang. Und ob man nun entscheidet den kürzeren, den gewohnten, einen neuen oder gänzlich unbekannten Weg zu gehen, liegt doch schließlich an uns selbst. Fühlen wir uns sicher, sind wir gerne abenteuerlustig und neugierig. Befinden wir uns aber in einer Phase der Unsicherheit oder haben Zweifel, reagieren wir manchmal ängstlich und sind plötzlich nicht  mehr in der Lage dem Bekannten zu folgen.

Nun geht es leicht bergab. Ein Schritt vor dem anderen. Die Schritte werden schneller, schwungvoller und länger. Mein Vorhaben langsamer zu gehen wird auch hier zur Überwindung. Aber schließlich hab ich es ja nicht eilig. Ich habe Zeit, ich habe ein Ziel und keiner außer mir, kann mir vorschreiben, wie lange ich für diesen Spaziergang brauche. Ich übernehme Verantwortung für meine Schritte und die Dauer.

Oft glauben wir, die Erwartungen anderer erfüllen zu müssen, ohne dass uns jemand diese vorgegeben hat. Entschuldigung, wenn ich Ihnen zu nahe trete, aber haben Sie das schon einmal überprüft? Wer steht hinter Ihnen und zwingt Sie dazu? Was passiert, wenn wir nicht das tun, was andere von uns wollen? Okay, vielleicht tue ich Ihnen unrecht und es fühlt sich manchmal auch wirklich so an. Wir passen uns also an das Tempo, an die Vorgaben, die Erwartungen anderer an. Kommen dabei selbst aus dem Tritt, verlieren den Halt, werden unsicher und sehen nicht einmal mehr unsere Energie schwinden, weil wir so schnell unterwegs sind. Wir vergessen dabei, dass dies auch für uns Konsequenzen hat. Auf einmal landen wir an einem Ort, der uns so nicht bekannt ist. Er ist düster, traurig und einsam. Wir haben vergessen auf unsere Gedanken und Gefühle zu achten. Haben vergessen welche Bedürfnisse und Träume wir hatten. Die Schritte in den Wanderschuhen werden zögerlich und wirken unsicher. Das Vertrauen in uns selbst ist uns auf diesem Weg abhanden gekommen. Wir wissen nicht, wie das passiert ist? Wie konnte es soweit kommen? Fällt das jemanden außer mir auch auf? Haben die anderen (meine Familie, meine Freunde) etwas davon bemerkt? Hat da nicht letztens jemand gesagt, dass…? Aber nein, dabei ging`s ja nicht um mich, oder? "Geh langsamer!" war die Botschaft des Anderen, meines Körpers, meines Herzens und ich habe nicht darauf gehört. Wo war die Achtsamkeit, das Bewusstsein, die Ruhe, einen Schritt nach dem anderen zu tun?
Bedarf es nicht genau dieser Momente, um wieder auf den gesunden Pfad zurückzufinden? Oder fehlt uns in dieser Phase oft die Klarheit, der Weitblick, die Ruhe um innezuhalten, zu erkennen, Mut und Neugier aufzubringen, um unseren Füssen zu sagen, dass es auch andere Wege außer diesem gibt...

 

Auf meiner heutigen Reise fand ich den Weg zurück zu mehr Achtsamkeit. Es geht bergauf, es geht bergab. Ich atme ein, ich atme aus. Ich höre wieder auf mein Herz und meine Atmung, setze wieder einen Fuß vor den anderen, mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich schmunzle, ja ich lache sogar. Was für ein herrlicher Ausflug! Ein Ausflug in meine eigenen Höhen und Tiefen, verpackt in einen scheinbar so banalen Spaziergang...